Langkofel- und Sellagruppe vom 6. September- 10. September 1995

Unsere gefährlichste Tour! Von jetzt an sind wir nie mehr ohne Grödel unterwegs.
 

Nachdem uns im letzten Jahr die Sella "ins Auge gefallen war", planten wir kurzfristig diesmal das Langkofel-Sellagebiet zu durchwandern. Wir wollten mindestens einen Klettersteig machen und den Piz Boé besteigen, alles andere würde sich schon aus der Situation heraus ergeben.

1) Mittwoch, der 6. September 1995 (Niefern - Sellajoch - Langkofelhütte)
Dieses Jahr starteten wir um 6.00 Uhr zu unserem Bergabenteuer. Nach 492km erreichten wir um 12.30 Uhr das Sellajoch (2244m). Das Sellajoch gilt als der schönste Pass der Dolomiten. Aus dem gewaltigen Panorama ragten vor allem die benachbarten Berggruppen Sella und Langkofel, sowie die Marmolata mit ihrem Gletscher heraus.
Wir fanden zum Glück noch einen freien Parkplatz vor dem Sellajochhaus und machten uns um 13.15 Uhr auf den Weg und suchten die Wegmarkierung 526/528 zur Emilio-Comici-Hütte (2153m). In einer Stunde erreichten wir durch das malerische Felsenlabyrinth der "Steinernen Stadt" (urzeitlicher Felssturz vom Langkofel) und über Wiesen die am Fuße der langen Langkofel-Ostwand liegen, die Schutzhütte. Vom übervollen Rifugio Comici ging es bergab zu einem kleinen See, dann wanderten wir über ein Geröllfeld hinauf zum Col da Mesdi (2124m). Es fing leicht zu regnen an und Reinhard holte den Regenponcho heraus. Bald erreichten wir das Langkofelkar und dann ging es in Serpentinen hinauf zur Langkofelhütte (2252m), wo wir um 16.00 Uhr ankamen.
Die Hütte ist ein klassisches Alpenvereinsbauwerk aus Natursteinen mit markanten grünen Fensterläden. Sie liegt am Fuße der Langkofelspitze, dort wo Langkofel- und Plattkofelkar zusammentreffen. Nachdem wir unser Lager belegt hatten, gab es einen Apfelstrudel, der leider in die Kategorie Pforzheimer Hütte (siehe 1992) einzustufen war.
Vor dem Schlafengehen schauten wir noch kurz nach draußen. Es war kalt und sternenklar und der Langkofel zeichnete scharfe Konturen. Um 22.00 Uhr gingen wir ins Lager.

2) Donnerstag, der 7. September 1995 (Langkofelhütte - Plattkofel - Sellajoch (Rifugio Salei))
Unser heutiger Plan war die Plattkofelüberschreitung auf dem Oskar-Schuster-Klettersteig, der laut Klettersteigführer auch für mittelmäßige Bergwanderer geeignet sei. Um 8.15 Uhr schulterten wir unsere Rucksäcke; zum Glück wussten wir nicht, was uns in den nächsten Stunden erwarten würde.
Etwas oberhalb der Langkofelhütte, entlang der Wasserleitung, führte der gut erkennbare Weg ins Plattkofelkar. Nach 40 Minuten erreichten wir den Einstieg. Das Wetter war nicht schlecht, teilweise hatten wir sogar etwas Sonne. Bis zur Hälfte des Weges war es eine lustige Kletterei, aber dann folgten die Schwierigkeiten. Ab der "Türmescharte" (2730m) war der Steig vereist und mit Schnee zugeweht. Da die Route recht ausgesetzt war und die Sicherungen minimal waren, wussten wir oft nicht, hält der Tritt oder rutschen wir ab. Das Wetter wurde schlechter, es fing stark zu graupeln an. Bei der Überwindung eines Klemmblockes hatte ich einige Probleme.
Im Gipfelbereich lag der Schnee manchmal kniehoch. Ohne die roten Markierungen hätten wir uns in diesem unübersichtlichen Gelände nicht mehr zurechtgefunden. Langsam wurde mir schon etwas mulmig, denn aus einer mittelmäßigen Tour war innerhalb kürzester Zeit eine schwierige geworden. Umkehren wollten wir nicht mehr, rauf ist es meisten einfacher wie runter. Nach der Schlüsselstelle (Kamin) gelangten wir an den Fuß einer steilen Wand. Dieser gesicherte Abschnitt wurde direkt erklettert, wobei die künstlichen Sicherungen und der gut gestufte Fels ein gutes Vorwärtskommen erlaubten. Um 10.45 Uhr erreichten wir bei starken Schneetreiben den Plattkofelgipfel (2955m) und lagen trotz der widrigen Bedingungen genau in der Führerzeit.
So eine "scharfe" Tour hatten wir noch nie unternommen. Visentini schreibt in seinem Langkofel-Sella-Buch über den Oskar-Schuster-Steig: "Der gesicherte Abschnitt ist nur kurz. Die Hauptschwierigkeiten liegen in einer möglichen Vereisung des Steiges". Genau diese Bedingung hatten wir angetroffen, dazu kam noch als zusätzliche Erschwernis der Wetterumschwung
Der Abstieg war dagegen ein Kinderspiel. Die schräg nach Süden geneigte Riesenebene stellte auch bei diesem schlechten Wetter keine Probleme dar. Bereits um 12.00 Uhr erreichten wir die Plattkofelhütte (2256m) am Fassajoch. Sie war so überfüllt, dass wir nur im Freien auf der Terrasse bei 6°C einen Platz erhielten, deshalb machten wir uns nach nur einer kurzen Rast auf unseren Weiterweg zum Sellajoch. Der Friedrich-August-Weg ist die Autobahn der Dolomiten. Er ist einer der ältesten und am meisten begangenen Höhenwege der Dolomiten; meistens begnügt man sich mit dem Teilstück Sellajochhaus-Plattkofelhütte. Der Weg verläuft aussichtsreich unterhalb der Schokoladenseite der Langkofelgruppe mit toller Sicht auf Zahnkofel, Innerkoflerturm, Grohmannspitze und ins Fassatal. Unterwegs bemerkte Reinhard, dass er auf der Langkofelhütte seinen Regenponcho vergessen hatte. Wir erreichten das Rifugio Sandro Pertini, auch hier war Touristenrummel.
Der Col Rondella (2389m) ist durch Seilbahnen und Restaurants schlimm verbaut. Wir wollten nicht vorne an der Hauptstraße übernachten und waren froh kurz unterhalb der Forc di Rondella das schmucke Rifugio Salei (2222m) zu entdecken. Um 14.30 Uhr betraten wir die Hütte und beglückwünschten uns zu dem Entschluss hier nach Quartier gefragt zu haben. Das Rifigio war noch ziemlich neu. Wir erhielten ein helles, großes Vierbettzimmer mit Waschbecken und gegenüber unserem Zimmer gab es sogar zwei Warmwasserduschen
Mittags genossen wir einen prima Apfelstrudel und entschlossen uns morgen das Sellagebiet aufzusuchen. Wir riefen in der
Boéhütte an und ließen für uns vorsorglich zwei Betten reservieren. Reinhard telefonierte auch mit der Langkofelhütte und der Wirt versprach unseren vermissten Regenponcho im Sellajochhaus abzugeben.
Wir hatten Halbpension gebucht. Es gab ein prima Abendessen und auch der Abend war recht nett. Um 22.00 Uhr gingen wir zu Bett. Es regnete stark, hoffentlich fiel in der Nacht kein Schnee.

3) Freitag, der 8. September 1995
(Sellajoch (Rifugio Salei) - Val Lasties - Boéhütte (Sella))
Dieser Morgen wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. So ein grandioses Naturschauspiel hatte ich noch nie erlebt und wir hatten einen Logenplatz. Direkt von meinem Bett aus konnte ich Akt für Akt miterleben wie aus Schmuddelwetter innerhalb kürzester Zeit das tollste Wanderwetter wurde. Zuerst konnten wir das Pordoijoch, die Pordoispitze und den Col de Cue  nur schemenhaft erkennen, dann kam langsam die Sonne durch und verursachte eine gespenstische, atemberaubende Atmosphäre. Kurz darauf war der Himmel fast wolkenlos und nur noch vom Fassatal stiegen langsam die letzten Wolkenformationen hoch und blieben an den Graten, Zinnen und Kanten der umliegenden Berge hängen.
Nach einem hervorragendem Frühstück machten wir uns um 8.30 Uhr auf den Weg zum Sellajoch. Leider war der Regenponcho noch nicht abgegeben worden. Wir fuhren mit dem Auto ca. 15 Minuten die Passstraße hinunter zum Rifugio Schiavaneis (1850m) und parkten das Auto auf dem großen Parkplatz. Um 10.15 Uhr machten wir uns auf den Weiterweg durch das Val Lasties zur Boéhütte. Zuerst ging es durch schattenspendenden Hochwald,  dann anstrengend über ein langes Geröllfeld hinauf zur ersten Terrasse, Pian del Siella (2320m). Unterwegs entdeckten wir Gemsen und Edelweiße waren auch nicht selten. Die nächste Stufe (Pian de Rocces 2500m) brachte eine weitere Überraschung, Murmeltiere. Wir überquerten ein große, moorige Mulde ehe der Aufstieg zum nächsten Plateau erfolgte.
Über Stufen und Absätze wand sich der teilweise felsige Steig in die Höhe. Zum ersten Mal entdeckten  wir auf dem schneebedeckten Gipfel des Piz Boés die kleine Hütte und die monströsen Antennen. Das Val Lasties ist sicher der schönste Zustieg ins Innere der Sella. Die eindrucksvolle Wanderung durch das stille Hochtal entschädigte uns für die gestrigen Menschenmassen.
Der Weg führte uns weiter hinauf zur Forcella d'Antersass (2830m). Vereinzelte Schneereste fanden sich auf dem Geröll, es wurde merklich kälter, wir kamen langsam aber sicher in der "Winter". Jetzt mussten wir nur noch über der Zwischenkofel (2906m). Es fing leicht zu graupeln an und knöcheltiefer Schneematsch erschwerte etwas den Aufstieg. So schnell ändert sich im Gebirge die Wetterlage; vor einer halben Stunde wanderten wir noch im schönsten Sonnenschein. Um 14.15 Uhr erreichten wir die Boéhütte (früher Bamberger Hütte, 2871m), sie liegt im Zentrum der Sellahochfläche.
Bis zum Abendessen mussten wir uns die Zeit mit einer kleinen Wanderung, Gesprächen, Schach und Skat überbrücken.  Die 12-jährige Tochter der Pächter spielte Mäxle mit uns und war die Abgezocktetste von uns allen. Ihre Mutter sagte, dies lerne sie alles von den Gästen.
Die Hütte und das Ambiente gefielen uns und so entschlossen wir uns eine weitere Nacht zu bleiben. Die Hüttenwirtin erzählte uns, dass sie bereits 7 Jahre die Boéhütte bewirtschaften und ihr Leben fast nur aus Wintern bestehe. Wenn sie im Juni die Hütte für die neue Saison richten, müssen sie in den zweiten Stock einsteigen und tagelang Schneeschippen.
Um 22.00 Uhr gingen wir ins Lager. In der Nacht fiel reichlich Schnee und als ich aufwachte und aus dem Fenster schaute, erblickte ich eine prachtvolle Winterlandschaft im Vollmondlicht.

4) Samstag, der 9. September 1995 (Boéhütte - Piz Boé- Pisciadúhütte - Boéhütte)
Nach dem Frühstück machten wir uns bei herrlichem Sonnenschein, in einer wunderbaren Winterlandschaft und mit leichten Gepäck um 8.15 Uhr auf den Weg zum Piz Boé. Der Piz Boé (3151m) ist der höchste und gleichzeitig meistbesuchteste Gipfel der Sellagruppe. Der unscheinbare Berg erhebt sich nur 200m über das Plateau, wodurch er zu den leicht zugänglichen Dolomitendreitausendern zählt. Die Seilbahn vom Pordoijoch erleichtert die Gipfelbesteigung wesentlich.
Wir hatten tolles Wetter, ein strahlend blauer Himmel und 5-10 cm harschigen Neuschnee. Der Weg zum Gipfel war sehr einfach, lediglich ein kurzer, versicherter, steiler und vereister Aufschwung war etwas schwieriger. Wir brauchten keine 45 Minuten bis zum Gipfel mit der Madonna. Wir hatten eine fantastische Aussicht auf Peitlerkofel, Geislerspitzen, Rosengarten, Kesselkogel, Schlern, Langkofel und Puezgruppe, alles gute "Bekannte" von uns. Dazu noch die Marmolata (3342m), der höchste Berg der Dolomiten, mit ihrem gewaltigen Gletscher. Einziger Schandfleck, der Telefonreflektor. Wir genossen lange das grandiose Panorama, aber als wir die Menschenmassen von der Bergstation kommen sahen, machten wir uns auf den Rückweg. Um 10.00 Uhr waren wir wieder unten auf der Boéhütte und um 10.15 Uhr mit einem abgespeckten Rucksack (ohne Grödel, Seil und Karabinern) unterwegs zur  Pisciadúhütte, durch das Val de Tita.
Von der Forca d'Antersass ging es leicht ansteigend auf dem Weg Nr. 666 hinauf zu einer Hochebene unterhalb der Sass di Mesdi. Überall lag Neuschnee und er knisterte unter unseren Wanderschuhen. Bald ging es wieder bergab und der Weg senkte sich ins Val de Tita. Jetzt standen wir vor der Pisciadúspitze (2985m), dem Hausberg der Pisciadúhütte. Der folgende Abstieg zur Hütte war durch den Neuschnee etwas erschwert, Drahtseile halfen diese knifflige Stelle zu überwinden. Wir waren froh, als beim Pisciadúsee der Winter vorbei war und wir auf ungefährlichem Weg die Hütte um 12.15 Uhr erreichten.
Die Pisciadúhütte (2587m) liegt am Ausgang des Vallon del Pisciadú und befindet sich am Knotenpunkt wichtiger Wege und Steige. Wir setzten uns auf die sonnige Terrasse und machten erst einmal eine Pause. Von der Hütte aus hatten wir einen schönen Blick hinunter auf Kolfuschg und Covara, auf den markanten Sass Songher, auf die Kreuzkofel-Gruppe und auf der Ausstieg des bekannten Pisciadúklettersteiges. Wie bunte Perlen an einer Schnur aufgereiht, sahen wir Leute den Exener-Turm hochklettern. Stau am Pisciadúklettersteig!
Wir brauchten ungefähr eine Stunde bis wir die Karsohle (2138m) des Mittagstales und den Weg Nr. 651 erreicht hatten, der hinauf zur Boéhütte führte. Der Weg verlieft meistens auf Geröll. Man konnte schon von weiten den Talschluss mit dem steilen Anstieg über Schnee und Eis erkennen. Wir kamen der Schlüsselstelle langsam näher und das Wetter wurde schlechter, er fing sogar wieder leicht zu graupeln an. Das steile Geröllfeld war eine Tortur. Das Geröll lag so locker und die Steigung war so extrem, dass es fraglich war, ob wir ohne Stöcke diese Stelle überhaupt gemeistert hätten. Kurz vor der Boéhütte wich der Steig auch noch nach links in die total vereisten Felsen aus und unsere Grödel waren oben in der Hütte. Wir dachten schon wir müssten umkehren und in Kolfuschg übernachten. Zum Glück waren Seilsicherungen angebracht und es ging besser als wir vermutet hatten. Aber nach dieser neuen Erfahrung schworen wir uns: "Nie mehr ohne Grödel!" Um 16.00 Uhr waren wir wieder auf der Boéhütte, wir hatten für die 700 Höhenmeter, die wirklich nicht leicht waren, nur zwei Stunden gebraucht.
Eine große Gruppe Italiener war heute beim Abendessen anwesend, wir saßen bei einer Wandergruppe aus Aalen. Nach dem Abendessen folgte ein ausgiebiger Sängerwettstreit zwischen den Italienern und uns Deutschen. Der absolute Höhepunkt war das Berglied der Italiener, La Montanara, das sie ganz hervorragend sangen. Heute hatten wir einen unserer schönsten Hüttenabende erlebt.
Um 22.00 Uhr gingen wir auf unser Zimmer. Aber es dauerte noch lange bis endlich Ruhe eingekehrt war. Zwei Aalener lagen in unserem Zimmer und verspürten plötzlich Hunger. Sie packten ihre Silberzwiebel-, Gurkengläser, Wurst und Käse aus und begannen lustig zu speisen. So ein Wahnsinn, schleppen die die ganzen Fressalien tagelang mit sich in den Bergen herum.

5) Sonntag, der 10. September 1995 (Boéhütte - Sellajoch - Niefern)
Beim Frühstück sahen die Aalener nicht gerade frisch aus. Um 8.45 Uhr gingen wir auf die letzte Etappe unserer Bergtour 1995. Zum dritten Mal bestiegen wir den Gipfel des Zwischenkofels und machten uns dann an den Abstieg durch das Val Lasties.  Diesmal kamen wir vom Winter in den Sommer. Nach 2 Stunden waren wir bereits wieder beim Auto. Um 12.00 Uhr waren wir am Sellajoch und Reinhard schaute nach dem Regenponcho. Zu unserer Überraschung war er in der Zwischenzeit tatsächlich abgegeben worden.
Auf der Passstraße kamen uns viele Biker entgegen. Der Grund war der 1. Grödner-Radel-Tag. In Wolkenstein suchten wir eine Pizzeria auf, aber bereits um 13.00 Uhr machten wir uns auf den Heimweg. Den Fernpass passierten wir um 15.30 Uhr und in Weizern in unserer Stammkäserei, kauften wir leckeren Käse ein. Bis Memmingen konnten wir wegen des tollen Fönwetters die Alpen sehen. Um 19.30 waren wir wieder in Niefern.

Fazit 1995: Den Langkofel sollte man einmal gesehen habe, die Sella aber, ist mehrere Besuche wert!
 

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[Pisciadúhütte] (100 Jahre Pisciadúhütte)
[Pisciadúhütte-Boéhütte] (pdf-file, durch das Mittagstal)
 

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