22) Montag, 21.10.2002  Tatopani (1190m) – Sikha (1935m)

 

   Absoluter Frusttag heute, gleich ist es 14.00 Uhr und ich sitze in der “See You” Lodge in Sikha und bin fix und fertig, körperlich wie seelisch.

  Heute Nacht wurden dem walisischen Mädchen die Bergstiefel geklaut. Sie hatte vergessen, ihre Schuhe abends reinzuholen und heute Morgen waren sie verschwunden. Zum Glück sind die beiden schon über dem Pass und der Weiterweg ist nicht mehr so kritisch. Wenn ihnen das in Manang passiert wäre, hätten sie ganz schlechte Karten gehabt.
 

  Um 7.50 Uhr verlassen wir etwas traurig Tatopani. Der Ort ist uns ans Herz gewachsen. Hier kann man sich wirklich gut und komfortabel erholen. Zunächst verläuft der Weg leicht abwärts. Anschließend geht es über zwei Brücken, über eine stabile, neue und über eine alte, wacklige mit Holzsprossen, ohne seitliche Abspannung, deshalb schwankt das alte Bauwerk auch ganz bedenklich! Nach den Brücken gelangen wir an eine Weggabelung. Die Hauptroute, die auch die Mulikarawanen nehmen, verläuft weiter entlang des Kali Gandaki bis nach Beni (Beni: Zusammenfluss zweier Flüsse), wo die Straße anfängt. Unser Wanderweg zweigt nach links ab in Richtung Ghara und Sikha. Es geht gleich ziemlich steil über viele, viele Treppen hoch auf einen Pass und in ein Hochtal. Unterwegs treffen wir einen Typen aus Berghausen bei Karlsruhe, er ist allein mit Träger unterwegs. Kinder verkaufen uns einfältige Touris beim Aufstieg Orangen; entweder sind sie furchtbar sauer oder sie enthalten „weißes Fleisch“. Die Steinplatten, aus denen die Stufen zusammengelegt sind, sehen aus, als seien sie aus Marmor. Nach anfänglicher Skepsis bin ich davon überzeugt, dass wir auf edlem, rotweißen Marmor wandeln.

  Das deutsche Ehepaar mit Hanna und Malte trekken einige Zeit mit uns. Die Kinder halten sich prächtig trotz dem stetigen Treppensteigen. Sie machen mit uns Scherze und fallen in jedem Dorf auf, weil beide strohblond sind und haben mit den Dorfkindern gleich Kontakt. Sie sprechen auch etwas nepalesisch. Es ist eine richtig nette Familie, alle sehr sympathisch und freundlich.

  Als wir den Pass von Santosh Top Hill überschreiten, liegt eine ausgedehnte Berglandschaft vor uns. Wir machen eine kurze Rast und trinken eine Kleinigkeit. Einheimische bieten uns ein Pferd für 500 NPR für den Weiterritt nach Ghorepani an, wir lehnen dankend ab. Der Weg ist jetzt nicht mehr so steil, trotzdem steigt er weiterhin gleichmäßig an, meistens über Treppen. Da lobe ich mir das Stepptraining und die 1000-Stäffele in Niefern. Die Landschaft ist sehr abwechslungsreich. Überall Reisfelder, angepflanzt auf kunstvollen Terrassen. Hier wird sehr viel Ackerbau betrieben. An den Berghängen kleben kleine Dörfer, die etwas größeren Ansiedlungen am Horizont werden Ghara und Sikha sein. Im Hintergrund  erheben sich imposant der Dhaulagiri und der Tukuche-Peak.
 

  Wir müssen öfters Wasserläufe (Khola) überqueren. Über einem breiteren Flusstal ist sogar eine Art primitive Seilbahn angebracht, wahrscheinlich ist sie für die Monsunzeit gedacht. Heute  können wir problemlos mit Hilfe einiger Holzbalken den Fluss überqueren. Kurz vor Ghara (1700m) passiert mir ein folgenschweres Missgeschick. Ich will, wie schon hundertmal auf dieser Tour, einen kleinen Bach mit Hilfe zweier Steine überqueren. Plötzlich verliere ich den Halt und liege mit der linken Seite mitten im Bach. Ich weiß noch heute nicht, wie das passieren konnte, eventuell bin ich ausgerutscht und durch den schweren Rucksack aus dem Gleichgewicht gekommen. Eines weiß ich aber genau: Es war weder ein Kreislaufproblem noch ein Schwächeanfall! Auf jeden Fall bin ich klatschnass, mein linkes Schienbein ist lädiert, einige Rippen schmerzen und mein Kameraobjektiv hat auch etwas abbekommen. Ich bin voll darauf gefallen.

  Muss zuerst meine nassen Klamotten wechseln, Reinhard desinfiziert mein blutendes Schienbein, ich beiße die Zähne zusammen und weiter geht’s. Purna macht sich Vorwürfe, aber er kann wirklich nichts für meinen Sturz. In einem kleinen, einfachen bhatti machen wir eine Cola-Pause. Ich inspiziere meine Kamera. Das Objektiv lässt sich nicht mehr richtig am Gehäuse arretieren, vielleicht kann ich es daheim einfach festkleben, sonst scheint noch alles zu funktionieren. Ich verstärke das Objektiv mit Reinhards Heftpflaster am Gehäuse.

  Danach steigen wir nonstop über unzählige Treppenstufen höher von Etage zu Etage. Die Oberschenkel tun schon mächtig weh und noch immer ist kein Ende in Sicht. Ich will nicht wissen, wie viele Stufen das heute sind. Endlich um 13.00 Uhr ist die Schinderei zu Ende und wir haben unser heutiges Ziel, die „See You Lodge“ in Sikha erreicht.

 

  Die Lodge besteht aus zwei Gebäuden. Das Restaurant steht direkt neben dem Weg, die Zimmer befinden sich dahinter in einem Nebengebäude, dazwischen liegt ein kleiner Garten mit Brunnen. Dort wasche ich meine nassen, dreckigen Klamotten, nehme eine hot-shower, esse eine Nudelsuppe und trinke dazu einen Lemmon-Tea. Meine Nudelsuppe ist lecker, sie enthält viele „Brocken“ und ist spicy, der Körper bekommt so alle verlorenen Mineralien zurück. Der Lemmon-Tea ist leider etwas zu süß für mich, das nächste Mal without suger!  Die deutsche Familie mit den zwei blonden Kindern übernachtet auch hier. Wir erfahren; der Vater arbeitet als Entwicklungshelfer in Kathmandu.

  16.00 Uhr. Ich fühle mich total erschlagen, die „stairways to heaven“, es waren bestimmt zigtausende, haben mich geschafft. Mein ganzer Körper schmerzt. Ich bin gespannt, ob ich mich morgen überhaupt noch bewegen kann. Nach Ghorepani, wäre ich heute nicht mehr gekommen, alle Achtung vor Sven und Daniela. Vielleicht steckt doch eine Krankheit in meinem Körper. Ich gehe aufs Zimmer und versuche zu schlafen.  Fehlanzeige, gerade kommen Neue und machen nebenan einen Höllenlärm, man hört jeden Pups durch die dünne Sperrholzwand. Aber die Aussicht vom Zimmerfenster auf Dhaulagiri und Tukuche Peak ist genial. Muss unbedingt morgen früh bei klarer Sicht ein Foto machen.

 

  Heute Abend gibt es keinen Strom, wir veranstalten ein romantisches candle-light-dinner. Fast nur Deutsche sind in der Lodge: Die Entwicklungshelferfamilie, ein Ehepaar aus den neuen Bundesländern und ein Doktor der DFG, der alte Sanskrit-Texte für die Nachwelt rettet. Es wird viel über Nepal, die Korruption und über die Willkür der Regierung geredet. 
   Es ist ein sehr interessanter Abend, um 21.00 Uhr gehen wir schlafen.

 

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