16) Dienstag, 15.10.02 High-Camp (4677m) - Thorung La Pass(5416m) - Muktinath (3800m)

 

  Urlaubshalbzeit, Tag der Entscheidung, high-noon. Auf geht's zum Pass! Überpünktlich um 4.30 Uhr stehen wir auf. Es schneit leicht, hoffentlich können wir los. Wir packen alles schnell zusammen, ich ziehe vorsorglich meine Knieschoner an und dann gehen wir Frühstücken. Ich verspüre überhaupt keinen Appetit, nehme 2 Aspirin, danach sind meine Kopfschmerzen weg. Ich gebe Purna meinen Schlafsack. Er meint, wir können aufbrechen, das bisschen Schnee macht nichts. Mit den 3WCs gibt es überraschenderweise keine Probleme.

 

  Um 5.30 Uhr machen wir uns auf den Weg. Es ist noch dunkel und es schneit weiter. Überall brennen Stirnlampen. Viele Trekker kommen bereits von Thorung-Phedi herauf. Reinhard läuft mit seiner super LED-Hightech-Stirnlampe voraus, Sven und Daniela folgen uns. Nach 15 Minuten dämmert es bereits und wir können auch ohne Lampe sehen. Der Weg ist sehr anstrengend, obwohl nur wenig Schnee auf dem Pfad liegt und er nicht besonders steil ist. Es schneit noch immer leicht, aber wir sehen schon vereinzelt  blaue Wolkenlücken. Man bekommt einfach zu wenig Luft und muss deshalb oft stehen bleiben. Endlich setzt sich die Sonne durch und die Berggipfel erglühen im ersten Morgenlicht. Die langsam herabrieselnden Schneekristalle reflektieren märchenhaft, sie sehen aus wie kleine, schwebende Diamanten. Ich habe so etwas noch nie gesehen.

  Man wird zur Maschine, das Gehirn ist abgeschaltet. Jede noch so kleine Steigung ist eine Qual, zum Glück gibt es auch einige flache Passagen zur Erholung. Ich spreche selten, selbst das strengt an, jeder ist mit sich allein beschäftigt, auch zum Fotografieren muss ich mich zwingen. Das Wetter ist prächtig, fast windstill und deshalb auch nicht mehr so kalt. Ich ziehe zum ersten Mal meine Sonnenbrille an, der Schnee reflektiert gewaltig.

 

  Wie lange dauert noch diese Tortour? Ich bin noch nie so nahe an meiner  körperlichen Grenze gewesen wie in diesem Moment. Sonst geht es mir überraschend gut, kein Kopfweh, kein Schwindel. Kommt das vom Aspirin oder haben wir uns doch gut akklimatisiert? Ich bin meistens voraus, Reinhard sieht wieder sehr blass aus. Ich treffe unterwegs auf die 65-jährige Schweizerin, sie ist schon um 4.00 Uhr aufgebrochen. Mir ist richtig warm geworden, nach dem nächsten Anstieg werde ich meine Jacke ausziehen!  Ich kann es nicht glauben, ich stehe auf dem Pass, auf 5416m, unglaublich! Überraschend schnell, nach nur 2,5h haben wir den höchsten Punkt erreicht. Um 8.00 Uhr ist die Schinderei vorbei, von nun an geht es nur noch bergab. Ich bin nicht stolz auf meine Leistung, nur unendlich froh. Plötzlich werde ich emotional überwältigt. Ich muss weinen, dicke Tränen fallen in den Schnee, wir fallen uns alle in die Arme. Die Überquerung des Thorung-La-Passes wird für uns ein wunderbares, unvergessliches Erlebnis bleiben!
  Wir machen einige Bilder bei den vielen Gebetsfahnen und vor der Hütte. Ich nehme noch einige kleine Steine als Andenken mit. Wir haben einen idealen Tag erwischt, strahlender Sonnenschein, azur-blauer Himmel und eine grandiose Fernsicht. Uns gegenüber, zum Greifen nahe,  sehen wir die Schneekuppe des Khatung-Khang (6481m) (Yak Gawa). Er sieht dem Alphubel in der Schweiz sehr ähnlich und scheint leicht zu besteigen zu sein. Vielleicht sollte man sich den Berg beim nächsten Mal vornehmen, wo sonst kann man so leicht einen 6000er besteigen! Die Israelis und die zwei netten Jungs sind in der Zwischenzeit auch eingetroffen. Die Israelis ziehen wieder eine gewaltige Schau ab.

 

  Nach einem kurzen Aufenthalt (1/2 Stunde) auf dem Pass beginnen wir mit dem langen Abstieg, hoffentlich halten das meine Knie aus! Die Landschaft hat sich auf dieser Passseite total verändert. Trocken, steinig, soweit das Auge blicken kann, alles hellbraun, wie in einer Wüste. Der Abstieg ist wirklich kein „Zuckerschlecken“ (Zitat Birgit Wenzel), manche Passagen sind ziemlich steil. Überraschend kommen uns ab und zu sogar einige Trekker und Pferdekarawanen entgegen. Bei einem zerfallenen Haus (4650m) machen wir eine kurze Rast, jetzt entdeckt man endlich weiter unten das erste Grün. Das wird aber noch ein hartes Stück Weg. Purna geht voraus, er will sich um die Unterkunft kümmern. Stramm marschiert er los, sein orangefarbener Rucksackschutz ist noch lange zu sehen.

  Es folgt ein weiterer steiler Abstieg. Wir sind fast unten und erreichen nach einer weiteren Stunde die erste Einkehrmöglichkeit seit dem Pass, ein ganz primitives bhatti. Hier machen wir eine kurze Pause, ich habe furchtbare Gelüste auf eine Cola und kaufe mir für 70 NPR eine kleine, eingestaubte Flasche, ahhhh wie das zischt. Noch nie hat mir dieses braune Zeug so gut geschmeckt.

 

  Um 12.00 Uhr kommen wir am Tempelbereich von Muktinath vorbei, gehen an der hohen Mauer entlang und haben einen tollen Blick auf Muktinath und Ranipauwa, auf viele grüne Oasen und hinten links auf den mächtigen Dhaulagiri (8167m). Vom Heiligtum sind es nur noch 15 Minuten bis zu unserer Lodge in Ranipauwa. Purna wartet vor der Mona-Lisa-Lodge auf uns, sie liegt direkt neben der sehr bekannten Bob-Marley-Lodge.

  Ich will zuerst meine verschwitzten Klamotten, die ich noch auf dem Leibe trage, waschen. Ich bekomme von der Lodgewirtin eine Alu-Schale, nehme mein „Rei in der Tube“, gehe über die Strasse zum Brunnen und wasche die stinkenden Teile. Zähneputzende Kinder schauen mir dabei interessiert zu. Danach suche ich die hot-shower auf. Duschen ist einfach das größte nach einer solchen Strapaze. Neben der Dusche entdecke ich das erste Sitzklosett seit Kathmandu, die Zivilisation hat uns wieder. Auf dem kleinen roof top esse ich french fried potatoes, (Pommes) habe ja unterwegs fast nicht gegessen.

  Jetzt ist es 14.10 Uhr, wir sitzen alle entspannt auf der Dachterrasse, haben Hochstimmung und genießen die lang entbehrte Wärme. Gerade kommt die 65-jährige Schweizerin vorbei und jammert: “Meine Knie!“ Bin gespannt, wie es meinen morgen geht. Blasen habe ich ja genug, die nächsten 2 Etappen kann ich nach Purnas Auskunft zum Glück wieder in Sandalen machen. Ich fühle mich nicht so sicher in den Trekkingsandalen, es fehlt einfach der feste Halt, aber ohne sie wäre ich bestimmt nicht so weit gekommen.

 

  Genügend Sauerstoff, eine wärmende Sonne, eine hot-shower, gutes Essen und ein brauchbares Bett, Trekkerherz was brauchst Du mehr? Ich esse mein erstes Daal-Bhaat und trinke zur Feier des Tages dazu ein Carlsberg Bier 650ml für 170 NPR, köstlich. Die anderen probieren das local beer, den Chhang. Es schaut nicht sehr vertrauensvoll aus, milchig trübe und hat verdächtige dicke Brocken drin. Die Meinungen sind geteilt. Daniela hilft mir lieber bei meinem zweiten Bier. Unsere Lodge hat eine reichhaltige Speisekarte, es wird sogar Yaksteak angeboten. Der DJ spielt entweder Nepalmusik, darunter auch unseren Ohrwurm, oder Bob Marley. Er besitzt anscheinend nur diese 2 Tonträger. Der VDI (Verein deutschen Ingenieure) hätte hier über Jahrzehnte genügend Arbeit. Die elektrischen Leitungen sind überall sehr improvisiert verlegt. Sie hängen teilweise quer durch den Raum und sind frei von Lampe zu Lampe gespannt.

  Die Schweizerin und ihre Bekannte kommen zu Besuch, sie kennen Daniela und Sven vom Anfang ihrer Tour. Sie erzählen uns, was sich heute am Pass abgespielt hat. Die Hauptdarsteller waren wieder einmal unsere geliebten Israelis: Sie wollten sich nackt am Pass bei den Gebetsfahnen (nepalesisches Heiligtum) fotografieren lassen. Dabei kam es zu einem Handgemenge mit den Einheimischen. Die Träger rissen ihnen einfach die Filme aus den Kameras.

 

  Sobald es im Diningroom kalt wird, werden glühende Kohlen in einem Metalleimer unter den Tisch gestellt. Die weit herabhängende Tischdecke verhindert, dass die Wärme schnell entweicht und so ist es unter dem Tisch mollig warm. Eine einfache, aber sehr effektive Heizung, vielleicht etwas gefährlich. Es ist ein lustiger Abend, wir spielen bis 21.00 Uhr Skat. Die Karten sind recht schmierig geworden, wir müssen höllisch aufpassen, dass wir uns nicht vergeben.

  Ich ärgere mich etwas, dass ich Purna meinen Schlafsack zum Tragen gegeben habe, den hätte ich auch noch geschafft.

 

nächster Tag

 

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