13) Samstag, 12.10.02 Manang (3500m)

 

  7.30 Uhr Frühstück. Die crazy Koreanerin ist heute Morgen sehr früh mit ihrem Porter zum Flugplatz abgeschwirrt, ihr hat die Trekkerei endgültig gereicht. Etwas Wäsche waschen, in den Ort gehen und Karten kaufen. Seit 2 Monaten kann man in Manang für 30 NPR/Minute emailen. Habe für 270 NPR (3.50€) nach Hause gemailt, bin froh, dass sie endlich Nachricht von uns bekommen haben. Unterwegs treffe ich viele bekannte Gesichter. Die zwei netten Jungs sind auch dabei, der aufgeschlossene Israeli und der Hippi-Ami, der in Indien wegen Durchfall fünf Tage im Krankenhaus lag. Er hatte Leitungswasser getrunken. Fast alle, die aus Indien kommen sagen, Indien ist die Hölle, Nepal dagegen sei das Paradies.

 

  Ab 9.15 Uhr sitze ich in der warmen Sonne und schreibe Karten. Neben mir schlürfen die Einheimischen ihre Nudelsuppe. Reinhard will die Gompa in Braga besuchen. Ich habe dazu keine Lust. Gegen alle Theorie mache ich heute einen ganz faulen Tag und schone mich. Meine Devise lautet: so wenig wie möglich bewegen. Eigentlich planten wir zur besseren Akklimatisation von Manang in drei Tagen zum Tilicho-Lake zu wandern, aber infolge unserer Wehwehchen und körperlichen Schlaffheit haben wir diese Idee frühzeitig abgehakt und den direkten Weg zum Pass gewählt.

  Suche verzweifelt im schönen, alten, verwinkelten Ortsteil die Post. Sie soll in der Nähe der Gebetsmühlen sein, also am Weg in Richtung Pass, ich brauche Briefmarken. Habe vergessen, dass heute Samstag ist, d.h. alle öffentlichen Gebäude haben geschlossen. Ein freundlicher Nepalese bringt mich trotzdem zum Postamt, aber bevor ich Briefmarken bekomme, muss ich mir das Dorfmuseum ansehen. Er führt mich in einen Hinterhof, kommt mir alles nicht ganz geheuer vor, aber es stellt sich alles als ganz harmlos heraus. Drei Nepalesen erklären mir stolz in schlechtem Englisch die ausgestellten, bäuerlichen Gegenstände: Stampfer zur Herstellung von Buttertee, Butterfass usw. einfach alles, was sie an altem Gerümpel gefunden haben. Ich gebe ihnen für ihre Mühe 30 NPR und bekomme endlich meine Marken. Der Postler hat aber nur 18 NPR Marken anstatt 15 NPR, ich nehme sie trotzdem. In Manang wird Briefmarken einkaufen zum Abenteuer, mir hat die kleine Exkursion mächtig gefallen. Die Karten werfe ich in einen alten, rostigen Kasten, der für jedermann zugänglich auf Kopfhöhe an der Wand hängt. Ob die auch  alle ankommen und wann (Wunder, alle  Karten sind angekommen!)?

 

  Ich gehe wieder ins „Zentrum“ zurück und steige dann doch, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, ein Stück hoch zum Kloster. Es weht wieder dieser lästige Wind. Es ist hier sehr trocken und staubig. Der Staub dringt in sämtliche Ritzen. Das Annapurnamassiv schottet diese Gegend vom Monsun ab, so fällt hier nur sehr wenig Regen.

  Von hier oben hat man einen traumhaften Blick auf Annapurna II (7937m, höchster 7000er), Annapurna III (7555m), Annapurna IV (7535m), Gangapurna (7454m), den türkisfarbenen See und auf Manang mit seinen vielen Gebetsfahnen und den rauchenden Kaminen. Ich kaufe mir auf dem Rückweg 4 Äpfel, Kekse und ozonisiertes Wasser (40NPR/l). Die Dorfjugend spielt mit einem kaputten Gummiball auf einem staubigen, abgeernteten  Acker Fußball. In einer Lodge kann man sich sogar aktuelle westliche Spielfilmvideos ansehen. Aus vielen Läden plärrt einem dasselbe Lied entgegen, ein richtiger Ohrwurm: „Om Mani Padme Hum“ (O, du Kleinod in der Lotusblüte, Mantra des Avalokiteshvara).

  Manang liegt erhaben auf einer Steilstufe oberhalb des Marsyangdi-Tales. Will man zum See, muss man steil hinunter zum Fluss und über eine neue Metallhängebrücke. Um 12.00 Uhr sitze ich am Ufer. Stille umgibt mich, ich bin ganz alleine, über mir hängen die riesigen, bläulich schimmernden Eismassen der Gangapurna. Das kleine Teehaus ist geschlossen. Ich esse zwei Äpfel und einige Kekse. Es ist großartig, ich könnte hier Stunden verbringen. Ich werfe flache Steine ins eiskalte Wasser, schaffe aber nur vier Sprünge.
  Bin rechtzeitig zurück im Hotel und unter der heißen Dusche, bevor die ersten Trekker kommen. Die Wäsche ist auch schon fast trocken, dank den neuen Hightech-Fasern, einfach super diese Materialien. Purna informiert mich, dass um 15.00 Uhr ein Vortrag von der HRA über Ursachen, Auswirkungen  und Vermeidung der gefährlichen Höhenkrankheit (HAS-high altitude sickness) gehalten wird. Da das ganz in der Nähe vom ACAP-Stützpunkt und von unserem Hotel ist, werde ich mal hingehen, kann sicher nicht schaden, etwas darüber zu hören.

 

  HRA: die Himalaja Rescue Association ist eine freiwillige, gemeinnützige Organisation mit dem Ziel, ohne staatliche Unterstützung Unfälle und Krankheiten im nepalesischen Himalaja zu reduzieren. Sie wurde 1973 gegründet und unterhält zwei Stationen auf den meistbegangenen Trekkingrouten. Während der Hauptsaison arbeiten westliche Ärzte freiwillig und unentgeltlich in diesen Stationen. Die HRA arbeitet ausschließlich mit Spenden und Einnahmen aus Behandlungen von Trekker. Sie sichert die medizinische Grundversorgung, auch die der einheimischen Bevölkerung, weit abseits vom nächsten Krankenhaus. Auch Informationsveranstaltungen zur Prävention stehen auf dem Programm. Jeder Trekker profitiert von ACAP und HRA, deshalb sollte man beide Organisationen unterstützen und ihre Angebote annehmen.

 

  Ich trinke Tee und esse dazu Kuchen, habe Purna eingeladen. Unser Guide schleppt in seinem Minirucksack eine Menge Bücher mit sich herum. Er bereitet sich auf irgendeine Prüfung vor: Allgemeinbildung, Geschichte Nepals, Mathematik, es sind 5-6 Bände, die er durcharbeiten muss. Was es genau für eine Prüfung ist, habe ich nicht kapiert. 13.10 Uhr Reinhard ist noch nicht zurück. Man braucht schon wieder eine Jacke. 14.00 Uhr, Reinhard ist wieder da, total begeistert vom Ort Braga und der Gompa. Er hat vom "Klosterchef" ein gesegnetes buntes Bändchen bekommen, mit dem er nun sicher über den Pass kommen soll. Er trägt es um den Hals. Er geht gleich duschen. Auf der Terrasse schneiden Frauen Äpfel klein. Ein gutes Zeichen, es gibt bald wieder frischen Apfelkuchen. Vom Lodge roof top hat man einen tollen Blick ins Manangtal, bis hinunter zum Manaslu (8156m).

   Ich mache mich auf den Weg zum Vortrag. In der German Bakery nebenan kaufe ich mir einen super Croissant. Gegenüber, auf einer staubigen Weide, grasen mehrere Yaks. Nach einigem Suchen finde ich den Vortragsraum von HRA.

  Um 16.00 Uhr bin ich vom Vortrag zurück. War sehr informativ und interessant, natürlich in Englisch, aber das war klar. Habe mir vorsorglich 6-Diamox (100NPR) gegen die Höhenkrankheit gekauft. Morgens und abends jeweils eine halbe Tablette sei die optimale Dosis. Wenn man sie einnimmt sollte man viel trinken, die Tabletten fördern verstärkt die Urinabgabe.

 

  Die Neuankömmlinge haben auch schon gewaschen. Auf unserer Leine hängen heiße, rote Dessous. Wir sind doch hier nicht im Rotlichtmilieu! Im Speiseraum spielen wir mit den nepalesischen Trägern Tiger and Sheep. Sie spielen zu sechst gegen Reinhard oder mich und geben sich gegenseitig Tipps, sie freuen sich wie die kleinen Kinder. Wir essen um 18.00 Uhr, neben uns schlürfen die Porter ihr Daal Bhaat in sich hinein. Wir spielen bis 21.00 Uhr Schach.

  Purna klagt über eine eitrige Entzündung am Knie, Reinhard gibt ihm aus seiner scheinbar unerschöpflichen und umfangreichen Apotheke eine Antibiotikumsalbe. Hoffentlich schwillt die Entzündung bald ab, wir brauchen ihn noch. Wir wollen morgen schon um 7.30 Uhr starten. Bin echt gespannt, wie es uns ergehen wird, jetzt kommen die entscheidenden drei Tage. Werde trotz Wasserblasen und Schmerzen an der linken Ferse alles in Wanderschuhen gehen müssen. Daheim stellte sich heraus, dass ich eine chronische Schleimbeutelentzündung habe. Die hatte ich aber schon in Deutschland bei unserer Regenkurztour im Allgäu,  nur wusste ich es damals nicht.

  Ich bin unschlüssig, ob ich die Diamox nehmen soll. Die Ärztin von HRA hat auch Aspirin oder Paracetamol empfohlen. Werde mich morgen entscheiden.

 

nächster Tag

 

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