17) Mittwoch, 16.10.2002 Muktinath (3800m) - Kagbeni (2810m)

 

  Habe von 21.30 Uhr bis 5.30 Uhr wie tot geschlafen. Mein bester Schlaf, im warmen, kuscheligen Schlafsack, ich konnte sogar die Wollsocken ausziehen, seit ich in Nepal bin. Meine Knie scheinen auch noch in Ordnung zu sein, werde aber zur Vorsicht heute noch einmal meine Knieschützer anziehen. Scheine einen leichten Schnupfen zu bekommen, habe schon viermal genossen. Es ist 6.30 Uhr, das Haus erwacht, während ich schreibe. Reinhard rasiert sich im Bett.

  Heute wird nicht weit gelaufen, wir werden relaxen, wir haben es auch dringend nötig. Um 7.00 Uhr gehen wir frühstücken. Ich führe ein interessantes Gespräch mit einem älteren deutschen Entwicklungshelfer (wohnhaft in Kathmandu) und mit seiner hübschen Tochter (Frankfurt). Den beiden sind wir schon einige Male zuvor begegnet, z. B. vorgestern Abend im High-Camp. Sie wollen heute bis Jomson laufen und morgen mit dem Flugzeug zurück nach Pokhara fliegen. Der Entwicklungshelfer ist für die Landwirtschaft, speziell im Westen von Nepal zuständig und er vermutet, dass die sozialen Unruhen in Nepal noch gewaltig zunehmen werden. Korruption, Vetternwirtschaft, soziale Ungerechtigkeit, Bildungsnotstand und Armut seien die Hauptgründe, die die  Bevölkerung in die Arme der Maoisten treibt. Ein weiterer Punkt sind die Geldverleiher, die die armen Bauern bis aufs letzte Hemd ausziehen.

 

  Um 9.00 Uhr machen wir uns mit Purna, Daniela und Sven auf den Weg zum Kloster nach Muktinath. Überall am Weg werden von Händlern tibetische Souvenirs angeboten. Bei einem Stand mit schönen Schals bleibe ich unvorsichtigerweise stehen. Sofort kommt eine Frau und versucht mir etwas anzudrehen.  Ich habe Mühe mich aus den Fängen der Händlerin zu befreien. Aber ich hätte doch zugreifen sollen, nirgends sonst gab es schönere Schals. Zum ersten Mal sehen wir die schwarzen Vishnu Steine (Shaligram). Es sind aufgebrochene Ammoniten, entstanden vor 130 Millionen Jahren, man findet sie bevorzugt im Kali Gandaki Tal. Sie enthalten meistens das [Mineral Pyrit] (Katzengold, FeS2), das oft mit Gold verwechselt wird.

  Es sind viele Pilger unterwegs. Nach 15 Minuten steigen wir die letzten Stufen zum Eingang hinauf. Wir kaufen noch schnell eine kurze Gebetsfahnenkette. Am Eingang zum Tempelbezirk steht eine riesige Gebetsmühle. Uns empfängt ein malerisches Bild von Tempelanlagen in einem Hain von herbstlich gefärbten Birken und Pappeln. Überall hängen Gebetsfahnen an den Bäumen und wir suchen verzweifelt nach einem freien Platz. In einer halsbrecherischen Aktion gelingt es Sven schließlich, unsere Gebetsfahnenkette über einem kleinen Bächlein aufzuhängen, sie ist nur etwas mickrig ausgefallen. Wir treffen wieder auf die zwei „netten Jungs“.
 

  Die Stimmung im Klosterbezirk empfinde ich spirituell und friedlich, stimmt mich nachdenklich, gibt mir innere Ruhe. Muktinath ist Heiligtum und Wallfahrtsort für Hindus und Buddhisten und das schon seit tausenden von Jahren. Bei uns daheim streiten die beide großen Konfessionen noch heute über das gemeinsame Abendmahl und hier leben Buddhisten und Hindus schon lange Zeit in friedlicher Koexistenz.

  Der große Vishnu-Tempel ist von 108 (heilige Zahl, viele Frauen tragen ihre Haare in 108 kleinen Zöpfchen) Wasserspeiern in Tierkopfform umgeben. Hindupilger duschen darunter oder baden in den beiden Pools im heiligen, eiskalten Wasser. Purna geht mit uns in den Tempel (ohne Schuhe) und wir bekommen einen roten (die Tika) Glück bringenden Stirnpunkt verpasst. Wir schlendern weiter durch den Chörten-Garten. Von hier aus hat man einen tollen Blick auf den Dhaulagiri (8167m), Nummer sechs in der Weltrangliste, eine beeindruckend schöne Eispyramide. Überall im Chörten-Garten stehen kleine Steinmänner. Purna legt auch einen Stein auf einen Steinmann. Als ich ihn frage, was er da mache erklärt er mir, dass das sein Steinmann ist und jedes Mal wenn er hier her kommt, legt er einen weiteren Stein dazu. Er war schon siebenmal an diesem heiligen Ort.

  Wir erreichen die buddhistische Jollo Muki Gompa. Die ewigen Flammen im Tempel, gespeist durch austretendes Naturgas, brennen auf Stein, Wasser und Erde! Brahma soll durch Entzünden des Feuers auf dem Wasser die unvereinbaren Elemente verbunden haben. Die Flammen sind unterhalb eines Altars, in einem kleinen Voraltar hinter Vorhängen verborgen. Es sind nur kleine, bläulich tanzende Flämmchen. Als Opfer für die Götter stehen kleine Butterlämpchen bereit.

  Fasziniert von diesem Ort, bewegt und mit einer inneren Ruhe, machen wir uns auf den Rückweg. Zum Glück ist die tibetische Verkäuferin nicht an ihrem Stand. Von Muktinath aus sieht man den Verlauf des Weges nach Kagbeni, den wir in den nächsten 1,5-2 Stunden zurücklegen werden.

 

  Um 11.00 Uhr machen wir fünf uns auf den Weg nach Kagbeni, ich habe wieder meine Sandalen angezogen. Heute geht es nur bergab. Wir sehen die ersten Mountainbiker, sie kamen auch über den Pass! Schnell noch bei der safer-water-station und beim check-point vorbeischauen, dann verlassen wir bei herrlichem Wanderwetter diese interessante Pilgerstadt. Die Landschaft ist trostlos, sie besteht aus hundert verschieden brauner Farbtöne, aber ist doch irgendwie faszinierend. Es ist staubig und trocken. In der Ferne sehen wir schon die geheimnisvolle Silhouette des Bergdorfes Jharkot (3550m). Hoch auf einem Bergrücken liegt das mittelalterliche Jharkot. Die Lehmmauern der ehemaligen Burg sind zu Ruinen zerfallen. Ganz am Ende, fast schon am Abgrund des Bergrückens, ragt das Kloster in leuchtendem Rot. Hier praktiziert ein tibetischer Mönchsarzt.

  Im Gegensatz zu Muktinath ist Jharkot ein lebendiges Dorf, umgeben von vielen Feldern. Als wir vorbeikommen, sehen wir viele Frauen bei der Ernte auf den Äckern. Sie schauen freundlich und singen bei der Arbeit. Jharkot ist eines der Highlights auf der Trekkingtour, ein wunderschönes Dorf in einer idyllischen Umgebung.

 

  Wir verlassen das Dorf durch einen Torbogen. Überall entlang des Wanderweges stehen  kleine Stände wo Schals und Ketten angeboten werden. Manchmal entdecken wir auch einen alten Webstuhl. Der Blick zurück nach Muktinath ist einmalig schön, wir können uns nicht satt sehen. Wir  lassen oft den Blick schweifen und fotografieren. Mehrere schwitzende Japanergruppen kommen uns entgegen, sie wollen bestimmt alle nach Muktinath. In den kleinen Dörfern dreschen Bauern das Korn mit hölzernen Dreschflegeln. Überall fließt Wasser in kleinen Kanälen zur Bewässerung der Felder.

  Neue Strommasten stehen entlang des Weges. Eigentlich ist es kein Weg mehr, sondern eine breite, staubige Straße. Ein stolzer Reiter auf einem bunt geschmückten Pferd kommt uns entgegen. Immer und immer wieder schaue ich mich um in Richtung Muktinath und genieße den herrlichen Blick. Tief unter uns fließt der Jhong Khola und in der gegenüberliegenden Felswand entdecke ich viele Höhlen. Sie sind künstlich, sollen über 2700 Jahre alt, mit Stufen untereinander verbunden und bis zu 9 Stockwerke hoch sein

 

  Nach 1,5 Stunden kommen wir an die Wegbiegung und verlieren Muktinath endgültig aus dem Blickfeld. Nach einer weiteren halben Stunde gelangen wir an eine Weggabelung. Links geht es direkt nach Jomson, rechts nach Kagbeni. Ein wild aussehender Yak wird von mehreren Leuten an uns vorbei getrieben. Zur rechten Seite erblicken wir  imposante Felsformationen, sie bestehen aus Sedimentgestein, hochgehoben durch das Aufeinandertreffen zweier kontinentaler Platten..

  Wir kommen an eine Steilstufe und sehen unter uns Kagbeni am Kali Gandaki liegen. Auffallend ist das große, rote Gebäude, die alte Gompa. Aber noch sind wir nicht unten, wir müssen noch einen steilen, schmalen Bergpfad überleben. Felder mit abgeerntetem Getreide säumen den Weg. Am Ortseingang steht ein Chörten, wo Pilger Steine abgelegt haben.

  Um 14.00 Uhr erreichen wir Kagbeni. Eine Gruppe Einheimischer mit Touristen auf Pferden kommen uns entgegen. Um sich vor dem starken Wind zu schützen, der uns seit dem Verlassen der Steilstufe empfangen hat, ist der Ort sehr eng gebaut. Kagbeni ist nicht nur Tor, sondern es gehört bereits zum geheimnisvollen Königreich Mustang. Früher hatte Kagbeni, wegen seiner hervorragenden Lage, den Salzhandel nach Tibet beherrscht. Umgeben von einer Mauer und nur mit 3 Toren als Eingang war es gut zu verteidigen gewesen.

  Wir laufen noch lange durch das verwinkelte Dorf, vorbei an Gehöften, Logdes und Geschäften, über mehrere Brücken, bis wir endlich in der Red-House-Lodge eintreffen. Das Haus ist sehr bekannt. Es hat sogar einen Gebetsraum mit einer meterhohen Buddhafigur, trotzdem macht es auf den ersten Blick auf uns keinen so guten Eindruck. Wir bekommen nur noch Zimmer (unser einziges Doppelbett auf der gesamten Tour) auf dem roof top. Um es zu erreichen, müssen wir über eine steile, zweifelhafte Hühnerleiter. Aber die Aussicht auf die Nilgiri-Gruppe ist fantastisch.

  Wir duschen, waschen unsere schmutzige Wäsche und um 15.30 Uhr sitze ich im Gastraum, trinke Tee, schreibe Tagebuch und schaue dabei auf die Nilgiri-Gruppe. Später will ich mir noch einen Kuchen in einer nahen Bakery kaufen, lasse es aber sein, als ich die Auslagen begutachtet habe. Das ganze Dorf ist mit Wasserkanälen durchzogen, überall stehen Bäume, die sich heftig im Wind wiegen.

 

  17.00 Uhr. Der Wind hat etwas nachgelassen, die Gebetsfahnen auf den Nachbargebäuden wehen nicht mehr so stark. Es ist sehr interessant, auf die flachen Nachbardächer zu blicken. Frauen und Kinder verteilen Getreide zum Trocknen oder schleppen Feuerholz in Bündeln herauf. Reinhard und Purna besuchen das Kloster, Sven und Daniela sind am Fluss und wollen über die „Grenze“, um einen Blick nach Mustang werfen zu können. Die Wäsche trocknet gut bei dem Wind, nur fällt sie öfters von der Leine in den Staub.

  Ich hoffe, dass ich morgen in Jomson endlich wieder Kontakt mit daheim aufnehmen kann. Wir spielen bis 21.00 Uhr Skat und trinken local Apfel- und Aprikosen-Brandy. Man bekommt für 25NPR ein ganzes Wasserglas voll, dementsprechend schmeckt er auch. Wir können nicht unterscheiden, welche Geschmacksrichtung wir im Moment "genießen", sie schmecken beide identisch. Zum Glück wurde von dem Fusel keiner von uns blind!

 

nächster Tag

 

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