15) Montag, 14.10.02 Letdar (4250m) - Thorung-La High-Camp (4677m)

 

  6.30 Uhr aufstehen. Heute reicht es nur zu einer Katzenwäsche, es gibt nicht einmal einen Brunnen. Warmes Wasser bekommt man nur auf Anfrage. Draußen sind die Pfützen zugefroren, die Außenmöbel voller Raureif. Ab heute sind die langen Hosen angesagt. Wir haben vom Speiseraum aus eine tolle Sicht auf Gangapurna. Purna schätzt 3h bis Thorung-Phedi und eine weiter Stunde sehr steil hoch zum High Camp. Wir starten um 8.30 Uhr. In der Nachbarlodge, wo ein Campingtreck übernachtet hat, sehe ich zu meiner großen Überraschung meine erste Katze in Nepal.

 

  Nach einer halben Stunde zweigt ein schmaler Weg ab, der gefährliche alte Trail, wo schon viele Leute durch Steinschlag getötet wurden. Wir nehmen vorsichtshalber den upper way, der ist viel anstrengender, dafür sicher und bringt zusätzlich auch noch etwas für die Akklimatisation. Ich bin wieder einmal voraus. Ein unbarmherzig, langer und steiler Anstieg steht uns bevor. Beim Überholen einer langsamen Gruppe verheddere ich mich mit einem zu langen Schnürsenkel im anderen Bergschuh, strauchle und stürze. Außer ein paar Schrammen am rechten Knie und an der rechten Hand ist zum Glück nichts passiert, hätte viel schlimmer ausgehen können. Ab sofort nur noch mit Doppelknoten!

  Endlich sehen wir Gebetsfahnen (4490m), sie markieren meistens das Ende eines Anstiegs. In einem kleinen Teehaus könnten wir rasten, aber wir gehen weiter. Wir blicken hinunter auf Thorung-Phedi  und auf den old way. Der schaut wahrlich sehr gefährlich aus. Er verläuft tief unter uns und führt fast eben nach Thorung-Phedi. Das Gestein über dem Weg erscheint uns sehr brüchig und lose und der Weg schmal und ausgesetzt. Dann doch lieber die etwas anstrengende Variante. Von Reiner erfahren wir später, dass ihr Träger auf diesem Weg abgeschmiert war und er sich zum Glück im letzten Moment retten konnte.

 

  Oben links, schwierig zu erkennen, alles ist hellbraun, entdecken wir das High-Camp und den Weg, der hinaufführt. Jetzt gibt es nur noch Steine und nur noch ganz wenig Vegetation. Ein steiler, gerölliger Abstieg (mit Sandalen unmöglich) führt erst einmal hinunter zum Fluss. Wir beobachten Adler beim Kunstflug hoch über uns. Ein kurzer, aber giftiger Anstieg bringt uns um 11.30 Uhr nach Thorung-Phedi (4420m). Fast auf dem Zahnfleisch erreiche ich die Lodge. Zum ersten Mal habe ich die Höhe richtig brutal gespürt. Vor einigen Tagen, kurz vor Manang, war das dagegen ein Kinderspiel. Dieses Gefühl kann man nicht beschreiben, man muss es selber spüren, erleiden, es ist unbeschreiblich.

  Der  Innenhof des Base Camps ist voller Trekker und auch im einladenden Gastraum ist einiges los. Die meisten Trekker übernachten hier und starten dafür morgens eine Stunde früher. Die Lodge ist sehr ansprechend, aber auch verhältnismäßig teuer. Wir trinken einen Tee, essen eine Zimtschneckennudel und bereits um 12.00 Uhr gehen wir auf die für heute letzte Etappe. Sie ist sicher eine der härtesten der gesamten Tour. Dies ist der brutalste Anstieg den ich je in meinem Leben gemacht habe. Jeder Schritt fällt unendlich schwer, man jappst förmlich nach Luft, hyperventiliert und ist kurz vor dem Abkotzen. Selbst zum fotografieren muss man sich überwinden. Es kommen Zweifel auf, hält das dein Körper aus? Ich bekomme wieder leichtes Kopfweh. Jetzt kann ich erst ermessen, was Bergsteiger leisten, die einen 7000er oder 8000er besteigen.

  Kehre um Kehre quälen wir uns höher, die Sonne scheint, es weht ein kalter Wind, wir schwitzen kaum, trotz Fleecejacke. Endlich um 13.00 Uhr sind wir im High-Camp. Fix und fertig stolpere ich in die erst 1998 erbaute Anlage. Daniela und Sven haben für uns ein Zimmer reserviert. Wir packen schnell aus, gehen Tee trinken und essen eine warme Nudelsuppe. Die Kälte geht mir durch Mark und Bein. Ich bin heilfroh, wenn ich morgen in Muktinath auf 3800m bin, wo es wieder wärmer ist und es auch mehr Sauerstoff gibt

 

  Es ist jetzt 13.30 Uhr, Reinhard und die beiden Stuttgarter machen eine kleine Tour zum Hausberg, ich habe dazu weder Lust noch Energie. Ich muss mit Schreiben aufhören, meine Finger sind von der Kälte ganz steif und ungelenk. Neben mir sitzt eine 65-jährige Schweizerin, alle Achtung vor ihrer Leistung. Ein 75-jähriger Engländer will auch über den Pass. Vielleicht finde ich draußen ein sonniges, windgeschütztes Plätzchen, so wie man es auf einem Foto in Birgits Buch sieht. Unmöglich, im Freien ist es noch ungemütlicher, also wieder rein in den Diningroom. Die ganze Bude stinkt nach Knoblauchsuppe, soll angeblich das Blut verdünnen und deshalb vorbeugend gegen HAS sein. In diesem Raum  hält sich bestimmt kein Vampir auf. Hoffentlich stehe ich diese Nacht durch. Wenn der Wind weg ist, ist es bestimmt viel besser. Freue mich auf das warme Muktinath. Man ist hier oben so genügsam, ein warmer Tee und ein sonniges Plätzchen, Trecker-Herz, was willst du mehr!

  Habe mir einen Platz direkt am großen Fenster erobert, hier kann man sogar die Handschuhe ausziehen und dabei auf die mit Wolken verhangenen Berge Annapurna III und Gangapurna blicken. Die Israelis sind wieder aufgetaucht. Die Mädchen erbeuten sich gleich den einzigen elektrischen Heizlüfter und wärmen ihre Füße. Ich entdecke auch wieder die beiden netten Jungs. Es kommen noch immer schwer beladene Porter an, unbegreiflich, was diese Menschen alles Hochschleppen. Neben der Lodge hat ein Campingtreck angefangen, seine Zelte aufzubauen. Ich will nicht wissen, wie kalt es heute Nacht in den Zelten wird, da ziehe ich doch lieber unser einfaches, aber windgeschütztes Steingebäude vor. Die ganze Mannschaft hat gelbe Plastikoveralls an.

  Hier oben gibt es für die ganze Meute nur drei Toiletten. Da wird es morgen früh sicher einen Engpass geben. Momentan sind nicht so viele Leute hier, aber vor 2-3 Jahren war es hier oben oft so voll, dass viele Leute wieder nach Thorung-Phedi absteigen mussten.

 

  Gerade kommt Daniela mit den Karten. Purna will morgen schon um 4.30 aufbrechen, etwas früh unserer Meinung nach. Ich werde alles anziehen, was ich dabei habe. Im Radio läuft wieder unser Ohrwurm, wir summen mit. Wir spielen Karten bis 21.00 Uhr, auch ich esse eine Knoblauchsuppe. Es sind große Stücke in der dünnen Brühe. Zwischendurch gibt es einen kurzen Stromausfall, schnell sind Kerzen auf den Tischen, alles ist hier oben super organisiert. Der Diningroom ist ziemlich voll, er ist sowieso nicht besonders groß, alle frieren um die Wette. Es ist unglaublich kalt, eine weitere Nacht hier oben halte ich nicht durch. Hoffentlich hole ich mir keine Erkältung.

  Es gibt sogar elektrisches Licht im Zimmer. Im Schlafsack ziehe ich alles an, was ich dabei habe, trotzdem werde ich nicht richtig warm. Ich kann nicht einschlafen. Wir haben ausgemacht, 4.45 Uhr wecken, um 5.00 Uhr Frühstück, das wir schon bestellt und bezahlt haben. Purna will meinen Schlafsack tragen.

  Plötzlich raschelt eine Plastiktüte. Reinhard sucht seinen Rucksack durch und entdeckt eine kleine Maus. Irgendwie gelingt es mir dann doch 1-2 Stunden zu schlafen. Aber ich wache oft auf und habe Atemnot. Ich habe das Gefühl, als ob mich jemand würgen würde. Die verringerte Atemfrequenz beim Schlafen reicht hier oben nicht mehr aus, um den Körper mit genügend Sauerstoff zu versorgen. Man kommt schon etwas in Panik, ich fühle mich nicht besonders gut und habe trotz Aspirin leichte Kopfschmerzen. Soll ich vorsorglich eine Diamox nehmen?

 

nächster Tag

 

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