Brenta -  31. August - 5. September 1993

Dolomitenbastion westlich der Etsch. Eine traumhaft schöne Wandergegend!

Vorwort: 1987 lass ich zum ersten Mal in einer Bergsteigerzeitung von der Brenta, hörte das erste Mal vom berühmten Bocchetteweg (Schartenweg), sah im Film die begehbaren Felsbänder und die Gulia de Brenta, den Turm aller Türme. Ich war fasziniert von dieser Landschaft, von den Felsen, Zacken, Zinnen und Türmen.
Der Autor Luca Visentini schreibt in seinem Brentabuch (leider vergriffen!): "Die Brenta ist groß und zeigt viele Gesichter. Man muss sie erwandern, dann offenbart sie sich: eine stolze Kette zertrümmerter Felsburgen. Der Reichtum an landschaftlichen, geschichtlichen und alpinistischen Vorzügen stellt diese Gruppe noch über die Dolomiten".
Solche Schilderungen beflügeln die Phantasie und machen neugierig. Das Reich der Eisenwege, die Via della Bocchette, war fortan mein Traumziel.

 

1) Dienstag, der 31. August 1993 ( Niefern - Fernpass - Brenner - Molveno - Rifugio Selvata)
Abfahrt um 6.15 Uhr in Niefern, Ankunft in Molveno (865m) am gleichnamigem See um 13.30 Uhr. Mit dem Pradel-Lift fuhren wir zur Mittelstadion. Anschließend wanderten wir durch das Valle delle Seghe, mit herrlichen Ausblicken auf die Sfulminikette und erreichten nach 2 Stunden das Rifugio Selvata (1630m).
Die Hütte war ein absoluter Glücksgriff. Wir waren die einzigen Gäste, die Pasta war super und mit Paula und Franziska konnte man sich sehr nett unterhalten. Ein toller Einstieg in unser Brentabenteuer.

2) Mittwoch, der 1. September 1993 (Rifugio Selvata - Sentiero Orsi - Rifugio Tuckett)
Abmarsch um 8.30 Uhr bei herrlichem Wetter. Nach 2 Stunden Anstieg standen wir an der Abzweigung zum Sentiero Osi, kurz unterhalb der Tosahütte (2272m).
Der herrlich angelegt Orsi-Höhenweg verläuft entlang dem Ostfuß der Brentafelsriesen, die sich hier extrem kühn zeigen. Bereits nach einer halben Stunde erreicht man einen der Höhepunkte dieser Tour: man steht am Fuße der Gulia (Nadel) di Brenta (2883m), auch Campanile (Turm) Basso (niedrig) genannt. Wir verbrachten über eine Stunde an der Gulia, beobachteten kühne Kletterer, staunten und waren fasziniert von dieser eindrucksvollen Felsgestalt.
Der weitere Wegverlauf eröffnet fantastische Aus- und Tiefblicke. Ein drahtseilversichertes Felsband durchquert eine Flanke der Cima Brenta. An einem großen Felsbrocken unterhalb der Cima Sella beginnt der kurze, drahtseilgesicherte Aufstieg zur Bocca di Tuckett (2648m). Über die Vedretta di Tuckett, die auch bei Blankeis keine Schwierigkeiten bietet, aber ein unangenehmes Hindernis ist, ging es hinunter zur bereits sichtbaren Tucketthütte (2272m). Ankunft an der Hütte um 15.30 Uhr.
Die Hütte war gerammelt voll, aber die Leute verhielten sich seht diszipliniert, nur die Bettroste quietschten fürchterlich und hingen gewaltig durch.

3) Donnerstag, der 2. September 1993 (Rifugio Tuckett - Sentiero SOSAT - Alimonta-Hütte)
Der Sentiero Bocchette Alte stellt für Bergwanderer meistens zu hohe Ansprüche, als Alternative bietet sich der leichtere Sentiero SOSAT an. Um 8.00 Uhr machten wir uns, wieder bei strahlendem Sonnenschein, auf den Weg. Man kommt bald in ein Felslabyrinth, ohne Markierungen würde man sich verirren. Kurz darauf erreicht man die höchste Stelle des Weges (2630m) und kommt  zum schwierigsten Teil der Strecke. Als erstes Hindernis steht einem ein enges, aber griffiges Kamin (unterer 1. Grad) im Wege. Hat man es überwunden wird man mit einen fantastischen Blick auf den Crozzon di Brenta (3118m) belohnt.
Nun folgte eine kurze, aber nicht zu verachtende Klettersteigeinlage. Vor allem der starke Gegenverkehr war hier lästig. Die 51-sprossige, leicht überhängende Leiter, ging ganz schön in die Oberarme. Um 12.00 Uhr erreichten wir die Schutzhütte Maria e Alberto ai Brentei (2182m). Hier lebte und arbeitete von 1949 bis 1982 der legendäre Brentaveteran Bruno Dentassis. Ein paar Meter von der Hütte entfernt, der Wallfahrtsort vieler Brentabesucher, eine malerische Steinkapelle mit dem prächtigen Hintergrund von Bocca di Brenta, Cima Margharita undCima Brenta Basso.
Um 13.00 Uhr machten wir uns auf die letzten 400 Höhenmeter dieses Tages. Bereits um 14.00 Uhr erreichten wir die  Alimonta-Hütte (2591m), die höchstgelegene und neueste Hütte in der Brenta. Auch diese Schutzhütte  war gut belegt. Hier lernten wir Christel und Helmut aus Bayern kennen. Nachmittags quollen die Brentanebel aus Spalten, Scharten und Rissen, ein atemberaubendes Naturschauspiel.

4) Freitag, der 3. September 1993 (Alimonta-Hütte - Sentiero delle Bocchette Centrale - Selveta Hütte)
Dieser Wegabschnitt gilt als absolutes Highlight. Um 8.15 Uhr marschierten wir los in Richtung Vedretta degli Sfulmini. Auf dem Gletscher hatten wir anfangs Probleme. Das Anlegen von Grödeln erleichterte den Weg zum Klettersteigeinstieg enorm.
Bei der Begehung der luftigen, teilweise herausgesprengten Bänder geben einem die Drahtseile die psychologische Sicherheit auch einmal einen Blick in die atemberaubende Tiefe zu wagen. Das Wetter war heute leider nicht so optimal: windig, kalt und teilweise leichter Nieselregen. Auf dem Teilabschnitt Sentiero A. Castelli gelangt man fast eben zu einer Plattform, wo sich plötzlich die Gulia in all ihrer Eleganz und Schlankheit vor einem aufbaut.
Wir waren begeistert von diesem Klettersteig, wir waren regelrecht im Brentafieber, ein unvergessliche Erlebnis. Der Otto-Gottstein-Weg war leider schon das Klettersteig-Finale, der uns hinunter in die düstere Gulia-Scharte führte. Die Querung der Nordwestseite der Brenta Alte erfolgte über ein stellenweise sehr schmales Band. Man hält sich mit beiden Armen am Seil fest, der Rucksack hängt im Freien und die Füße suchen auf 20cm Fels Halt.
Um 11.30 Uhr erreichten wir schon die Pedrotti-Hütte. Hier machten wir eine kurze Pause, ehe wir in 1,5 Stunden zur Selvata-Hütte abstiegen, wo wir um  14.30 eintrafen. Paula begrüßte uns herzlich und in einer Ecke saßen Christel und Helmut und tranken Kaffee. Abends waren wir zu sechst auf der Hütte, es kamen noch zwei recht betagte Amerikaner, 68 und 72 Jahre alt. Wir hatten einen tollen Hüttenabend und nachdem wir mehrere piccolo sorca (kleine Schlucke) vino rosso getrunken hatten, gingen wir ordentlich müde um 21.30 Uhr ins Bett.

5) Samstag, der 4. September 1993 (Selvata Hütte - Passo del Clamar - Malga Spora)
Abmarsch um 8.15 Uhr, bei nebeligem und nasskaltem Wetter. Ab dem Rifugio  Croz dell Altissimo folgten wir dem Steig Nr. 344. Der Anstieg war nicht schwierig, doch hieß es aufpassen. Der steile Grashang (sicher 50% Steigung) war sehr rutschig und forderte ganz schön Beinarbeit. Noch blieb es trocken.
Nach 1 3/4 Stunden waren wir auf dem Passo del Clamer (2164m). Das Wetter wurde immer schlechter, es fing leicht zu Regen an, deshalb entschlossen wir uns gleich zur Malga Spora (1851m) abzusteigen und auf eine Besteigung von Cima del Clamer oder der Cima dei Lasteri zu verzichten. Bereits um 11.30 Uhr erreichten wir die rustikale Alm.
Die Malga ist ein Kleinod an Tradition, Besinnlichkeit, Gemütlichkeit und Schlichtheit. Helmut und Christel waren schon da und wärmten sich am Holzofen. Der Regen ging in Schnee über und die Alm füllte sich mit Gästen die Schutz vor dem schlechten Wetter suchten. Um 14.00 Uhr kamen unsere amerikanischen Oldies, schneebedeckt, aber lachend durch die Almtür. Als sich das Wetter etwas besserte, machten wir einen kurzen Spaziergang um die Alm; eine wunderschöne Gegend, wie ein Park.
Um 19.00 Uhr gab es eine hervorragende Pasta mit viel Parmesankäse und ausreichend vino rosso und vino bianco zu zivilen Preisen. Wir hatten wieder einen super Hüttenabend und mussten uns oft mit "scusi" bei unser geplagten Leber entschuldigen.

6) Sonntag, der 5. September 1993 (Malga Spora - Bocchetta del Gallino - Molveno - Niefern)
Um 6.30 Uhr wurden wir rustikal geweckt. Schmelzwasser drang durch das undichte Almdach und tropfte auf unsere Schlafsäcke. Die kurze Morgentoilette wurde am zugefrorenen Brunnen gemacht. Nach dem Frühstück tauschten wir unsere Adressen aus (Amerikaner, Christel und Helmut) und machten uns um 8.30 Uhr auf unsere letzte Etappe. Die leicht gezuckerten Berge, der blaue Himmel und das kräftige Grün der Lärchen gaben eine beeindruckende, landschaftliche Harmonie.
Schweißtreibend war der Aufstieg zur Bochetta del Gallino (2130m) wo wir um 10.00 Uhr ankamen. Wir marschierten gleich weiter und erreichten noch rechtzeitig (Liftpause von 11.45-14.15 Uhr) die Bergstation des Pradel-Liftes und fuhren um 11.30 Uhr hinunter nach Molveno. Nachdem wir uns umgezogen hatten, machten wir einen Bummel durch das schöne Städtchen Molveno. Durch enge, romantische Gassen liefen wir hinunter zum steinigen Seeufer und testeten das kalte Wasser. Anschließend gingen wir in ein Restaurant  und genossen die italienische Küche.
Um 13.30 Uhr machten wir uns auf den Heimweg und kamen um 20.15 Uhr, nach 630 km, wieder wohlbehalten daheim an.

Fazit: Sechs Tage Brenta, sechs Tage Bergwandern der Spitzenklasse. Die Brenta hatte uns überzeugt, die Brenta hatte uns begeistert. Die Tour war einmalig schön, doch das absolute Highlight war der Sentiero delle Bocchette Centrale. Ein Meisterwerk der Wegführung durch den steilen Brentafels, ein Klettersteig der Superlative. Nicht schwierig, aber extrem ausgesetzt und mit atemberaubenden Tiefblicken.
Am dritten Tag hätten wir doch besser den schwierigeren Sentiero Bocchette Alte Weg machen sollen. Aber auch der SOSAT-Weg mit dem fantastischen Blick zum Crozzon die Brenta und der Abstecher zur Brentei-Hütte hatten ihren Reiz. Eines ist sicher: Brenta wir kommen wieder, trotz der 600km Anfahrt.
 

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