14) Sonntag, 13.10.02 Manang (3500m) - Letdar (4250m)

 

 Um 6.15 Uhr aufstehen. Der Tilicho-Peak leuchtet rot, ein strahlend blauer, kalter Morgen. Die Dessous hängen noch immer einsam auf der Leine. Nach dem Frühstück hole ich mir noch schnell in der Bäckerei nebenan 2 Hefecroissants. Sie sehen nicht nur gut aus, sie schmecken auch prima. Unterwegs fotografiere ich ein kleines Mädchen, das neben der Straße sitzt und andächtig an seinen Schulhausaufgaben arbeitet.

 

  Pünktlich starten wir um 7.30 Uhr. Mit uns sind heute viele Trekker und Porter unterwegs. Wir kommen durch den alten Teil Manangs, den ich schon von meinem Postabenteuer kenne. Beim Eingang nach Tenghi (3660m) schwätzt mir ein touristenerfahrener 73jähriger für 60 NPR einen silberfarbenen Blechring auf. Ich schenke ihn Purna, er freut sich darüber. Selbst im kleinsten Ort kann man billigen Schmuck, Schals und andere tibetische Souvenirs kaufen, aber sie sehen überall gleich aus.

  Man hat von hier oben einen fantastischen Blick über das ganze Manangtal. Ganz am Ende steht imposant der Manaslu, uns gegenüber Gangapurna, Annapurna III und Annapurna IV. Über dem Tal hängt Dunst. Aus den Kaminen der flachen Steinhäuser von Manang qualmt dicker Rauch, die Gebetsfahnen flattern geräuschvoll im kalten Morgenwind. Es ist eine gigantische Stimmung, die mich verzaubert, man meint, das Herz bleibt einem regelrecht stehen. Plötzlich ein gewaltiger Donnerschlag. Eine Lawine hat sich am Gangapurna gelöst und donnert über die riesigen Eisflächen in die Tiefe.

 

  Wir halten uns rechts, entlang des Jharsang Kholas, und gelangen auf einem breiten Pfad in ein raues Hochtal. Vor uns geht ein junges Pärchen. Es riecht nach „Bergfrühling“, sie haben anscheinend frisch gewaschen. Sie haben ihre nassen Klamotten zum Trocknen an den Rucksack gehängt, und dies verbreitet einen ungewohnten, frischen Duft. Wir kommen mit ihnen ins Gespräch, endlich Deutsche und sogar aus Stuttgart!

  Plötzlich sehen wir nicht weit von uns entfernt eine Herde der seltenen Blue-Sheep, eine Gemsenart. Sie grasen friedlich und ignorieren die bunten Trekker in ihrer Nähe.

  Nach zwei Stunden erreichen wir das Marsyangdi-Hotel (3900m), ein einzelnes Gebäude in einer grandiosen Umgebung mit einem unglaublich tollen Blick auf das Annapurnamassiv,  direkt vom Schlafsack aus. Landsleute, die hier übernachteten, waren von der super Küche und der Sauberkeit dieser Lodge begeistert. Zwei junge hübsche Nepalesinnen sind die Pächterinnen dieser überaus empfehlenswerten Lodge. Hier oben hätten wir unseren Ruhetag einlegen sollen. Hier ist es viel ruhiger, beschaulicher und vor allem, die Akklimatisation ist noch besser. Beim nächsten Mal wissen wir es! Im Garten, kurzärmelig und inmitten von vielen, großen, gelben Blumen (Ringelblumen auf  fast 4000 m!) machen wir eine erholsame Teepause. Auf dem Tisch stehen für hungrige Trekker schmackhafte, rotbackige, knackige Äpfel.

 

 Wir müssen leider weiter. Jetzt merke ich jede kleine Steigung, ich bin sehr kurzatmig. Heute Morgen hatte ich leichtes Kopfweh und mir war etwas schwindelig, nahm deshalb eine Aspirintablette. Jeder Höhenmeter, den man durch einen kleinen Abstieg wieder verliert, tut unendlich weh. Jeder keucht und läuft im Schneckentempo den nicht sehr steilen Berg hinauf, selbst die Träger gehen jetzt langsamer. Die Gegend ist ziemlich rau, ähnlich wie bei uns auf 2000m. Es gibt nur noch niedriges Gehölz, Wacholder, rote Berberitze, Preiselbeeren (?) und kurz vor Yak Kharka (4090m) einige kleine, fast schon verblühte Enziane(?).

  Um 11.15 Uhr sind wir im Ort, der nur aus ganz wenigen Häusern besteht. Wir essen wieder eine gute Nudelsuppe und treffen auf das Pärchen aus Stuttgart, Daniela und Sven. Um 12.15 Uhr gehen wir weiter und bereits um 13.00 Uhr sind wir in Letdar (4250m). Purna führt uns zur Churi Lattar Lodge, sie sei die beste der 3 Unterkunftsmöglichkeiten, meint er. Wir werden im Nachbargebäude untergebracht. Die altersschwache Holztreppe erfordert schon etwas Klettersteigerfahrung. Das Zimmer ist eng, mein Bett steht so nahe an der Tür, dass man beim Öffnen Probleme bekommt. Ich muss es am Fußende etwas von der Wand wegschieben und schräg stellen. Abgebrannte Kerzenstummel stehen auf dem Fenstersims. Es gibt zwei Decken.

 

  Ich befürchte, ich habe leichte Anzeichen von HAS, etwas Kopfweh und Schwindel. Da muss ich schnell etwas dagegen tun. „Climb high, sleep low“ ist die Devise. Ich packe meinen Rucksack aus und gehe alleine 45 Minuten stramm und steil den nächst besten Berg hinauf. Wie leicht geht das ohne Rucksack. Wenn ich diese Schinderei nochmals machen sollte, dann nur mit einem ganz abgespeckten Rucksack. Wenn ich gewusst hätte, dass man hier überall waschen kann, hätte ich die Hälfte meiner Klamotten im Hotel gelassen.

  Es windet wieder stärker, aber es ist nicht kalt. In einer windgeschützten Ecke, an einem kleinen Bach, ruhe ich mich etwas aus, dabei beobachte ich 2 Geier bei ihrem majestätischen Gleitflug. Um 14.30 Uhr bin ich zurück, ich fühle mich etwas besser. Jetzt gehen Reinhard mit Daniela und Sven auf Tour. Ich ziehe mich um, sitze auf die Terrasse, trinke Tee, esse meine Lieblingsschokokekse, genieße die letzten Sonnenstrahlen und schreibe Tagebuch. Der Betreiber der Lodge ist ein recht junger Typ mit Pferdeschwanz und mongolischem Einschlag.

  Es ist 15.00 Uhr, die Sonne geht langsam unter und die Kälte kriecht herein. Der Weg war heute sehr einfach, gleichmäßig ansteigend, hätte man gut in Sandalen machen können. Nur, wo Flüsse den Weg durchschneiden (3x), gibt es kurze aber heftige Ab- und Anstiege. Ich hoffe nur, dass ich kein HAS bekomme, jetzt will ich unbedingt über den Pass!!!! Dafür haben wir uns fast zwei Jahre intensiv vorbereitet. Gelesen, viel Sport gemacht, gewandert und auch finanziell einiges investiert. So kurz vor dem großen Ziel wollen wir jetzt nicht aufgeben.

 

  Kalt, eiskalt! Nachdem die Sonne untergeht ist es beißend kalt. Ich sitze im Gastraum und habe soviel wie möglich angezogen. Handschuhe, Kappe, 2 Hosen, Fleecejacke, Schal, sogar die Wanderstiefel, und trotzdem ist es ungemütlich frisch. Nach dem Essen spielen wir mit Sven und Daniela aus Stuttgart bis 21.00 Uhr „Hol’s der Geier“ und Skat. Sie sind nett die beiden, wir haben uns etwas angefreundet. Sie erzählen uns, dass sie auch ursprünglich den Plan hatten, zum Tilicho-Lake zu gehen. Aber der Weg sei teilweise so gefährlich ausgesetzt gewesen, dass sie das Unternehmen aufgegeben haben.

  Im Zimmer ist es frostig, wie im Gefrierschrank, etwas erträglicher ist es im Schlafsack. Alles fühlt sich klamm an und durch die Ritzen pfeift ein eisiger Wind. Wir frieren beide trotz den zusätzlichen Decken. Zweimal muss ich in der Nacht raus, das ist die Höchststrafe. Ein fantastischer, sternenklarer Nachthimmel gibt es als Belohnung. Obwohl ich müde bin, schlafe ich wieder nur 4-5 Stunden.

 

  Campingtrekker: Was versäumen doch, im Gegensatz zu uns, die organisiert Reisenden! Wir können laufen und rasten wo, und wie wir wollen. Wir sind flexibel und können tun und lassen, wozu wir gerade Lust haben, stehen unter keinem Zeitdruck. Wir haben Kontakt zu Einheimischen und Menschen vieler Nationen. Die großen Gruppen und vor allem die Campingtrecks sind meistens nur unter sich. Campingtrecks, wenn die ganzen Lodges leer stehen, sind meiner Meinung nach sowieso verrückt. Da schleppen die armen Porter das ganze Gerümpel, vom Kerosin und Toilettenzelt, über Essen und Stühle, bis hin zu Tischen und Geschirr mit sich herum. Wenn die Lodges voll sind, wie vor einigen Jahren, okay, aber momentan ist Campingtrekken ein absoluter Witz.

 

nächster Tag

 

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